Überraschend gutes Resultat trotz Kirschessigfliege
Im Sommer vor zehn Jahren lernte die Schweizer Weinwelt den Namen einer neuen Insektenspezies kennen: «Drosophila suzukii». Dieser auch als «Kirschessigfliege» bekannte Schädling stammt aus Japan, wo er bereits im Jahr 1916 beschrieben wurde. Im Lauf der Jahrzehnte führt seine Spur dann über Hawaii und den nordamerikanischen Kontinent nach Europa. Im Jahr 2014 war der Quälgeist auch in der Schweiz angekommen, und das in feuchter Witterung, die die Schäden potenzierte. Die Weibchen der Kirschessigfliege legen nämlich ihre Eier mit einem Stich durch die Beerenhaut in reife Beeren, wodurch ein Einfallstor für Essigsäurebakterien entsteht.
Ist 2014 nun also ein Katastrophenjahr? Zum Glück nicht. Denn zum einen befällt die Kirschessigfliege fast ausschliesslich dunkle Trauben. Zum anderen ist ein feuchter Herbst mit Fäulnisproblem auch beim Rotwein nicht automatisch ein K.-o.-Kriterium für die Qualität. Betriebe, die skrupulös verlesen und schmerzhafte Ertragseinbussen in Kauf nehmen, können auch in solchen Jahren erstklassige Rotweine keltern. Das wichtigste Fazit des diesjährigen Swiss Wine Vintage Awards ist jedenfalls, dass auch 2014 in allen Landesteilen der Schweiz Weine gelungen sind, die über einen aromatisch klaren Ausdruck verfügen, und die auch nach zehn Jahren noch ausgezeichnet schmecken, in der Regel sogar besser als in ihrer Jugend.
Rotweine
Der Erfolg der 2014er Rotweine hing allerdings nicht nur von der Disziplin der Winzer ab, sondern auch vom Ausmass des Zeitdrucks bei der Lese. Die diesbezüglich grössten Probleme hatten im Herbst 2014 offenbar das Wallis und das Tessin. Die Tessiner Merlots haben oft einen zur Strenge neigenden Gerbstoff, doch die besten Exemplare paaren ihre sehnige Anlage mit Eleganz. Vegetabile Untertöne sind auch den roten Spezialitäten des Wallis in diesem Jahr nicht fremd. Die besten Weine finden Balance und Harmonie durch ihren Aromenreichtum.
Dem Pinot noir (Blauburgunder) stehen die meist etwas höheren Säurewerte des Jahrgangstyps gut zu Gesicht, gehört eine lebendige Säure doch zur DNA der Rebsorte. Die stoffigsten Jahrgangsvertreter fand das Verkostungsteam im Gebiet der Drei Seen. In der Deutschschweiz brillieren die gelungenen Weine mit stilvoller Saftigkeit und einer aromatischen Entfaltung hin zur Würze, in Graubünden verfügen die besten Weine über eine noch immer kompakte Art, die ihnen weiteres Potenzial attestiert.
Überdurchschnittlich gut haben auch die Rotwein-Cuvées des Jahrgangs 2014 abgeschnitten, etwa aus Genf, der Waadt oder dem Wallis: Ganz offenbar konnte eine kluge Komposition der Assemblage dazu beitragen, Frucht und Struktur in Übereinstimmung zu bringen.
Weissweine
Die Weissweine des Jahrgangs 2014 sind nach zehn Jahren auf einem sehr angenehmen, kulinarisch wertvollen Reifepunkt: komplex im Duft, durch ihre feine Säure prädestiniert als Speisebegleiter. Beispielhaft für den positiven Jahrgangstyp stehen die spannungsreichen Chasselas aus der Waadt, bei denen allerdings die Grands Crus Dézaley und Calamin durch einen schweren Hagelschlag am 6. Juli 2014 stark beeinträchtigt wurden.
Auch die weissen Spezialitäten – etwa Räuschling, Scheurebe oder Kerner aus der Deutschschweiz, Completer aus Graubünden oder Traminer am Mont Vully – haben den Zehn-Jahres-Test mühelos bestanden. Für die edelsüssen Weine des Wallis Schliesslich war 2014 durchaus ein gutes Jahr, allerdings auch hier mit hohem Selektionsaufwand.
Fazit
Der Swiss Wine Vintage Award 2024 nahm 108 Weine des Jahrgangs 2014 von 78 Winzerinnen und Winzern aus allen Weinbauregionen der Schweiz unter die Lupe. Die Verkostung fand blind statt, aber unter Berücksichtigung von Rebsorten und geografischer Herkunft. Das Resultat überraschte einmal mehr die Degustatoren: Verliehen wurde der Award an nicht weniger als 99 Weine. Das sind fast 92 % aller degustierten Weine. Der langjährige Durchschnitt liegt bei 73 %. Zwar sind Spitzenbewertungen jenseits der 18 Punkte rar, doch der Jahrgangstyp mit seinen gesunden pH-Werten hat sich ganz offensichtlich positiv auf das Reifevermögen der Weine ausgewirkt.
Ulrich Sautter
Degustationsleiter Swiss Wine Vintage Award